Bauxit und der Lars auf der Mofette
GhanaNews 7.11.2005
Über eine Woche bin ich nun hier in Awaso, einem verlassenen Ort in der
Western Region. Eigentlich wollte ich mich am ersten Tag schon wieder aus
dem wortwörtlichen Staub machen, zu unfreundlich und düster wirkte das
Städtchen. Nach einigen Tagen begann ich mich aber schließlich an sie zu
gewöhnen, an die „Obroni“-Schreie, den Stromausfall, den abendlichen
Sturzregen, das Wäschewaschen mit Regenwasser, die Unmöglichkeit einer
normalen Konversation, die kaputte Klotür und den Yams mit scharfer
Pfeffersoße. Und es wurde mir wieder bewusst, wie europäisch Accra einem
erscheinen kann – gerade Accra, dieses laute, unübersichtliche,
stinkende
Chaos. Es wurde mir ebenfalls bewusst, wie fremd mir Ghana nach wie vor
bleibt, wie unüberbrückbar der Graben zwischen deutscher und ghanaischer
Mentalität manchmal erscheint.
Hier in Awaso bin ich ein Obroni, ein Weißer. Aber eigentlich ist das eher
gleichbedeutend mit Außerirdischer. Ich bin ein Fremdkörper in dieser
Gemeinschaft, jemand, der von Kindern wie Erwachsenen manchmal freundlich,
manchmal misstrauisch bestaunt wird. In jedem Fall macht es einen normalen
Umgang unmöglich. Wirkliche Gespräche entwickeln sich kaum und wenn, dann
bleibt trotzdem eine fühlbare Distanz bestehen, Vertrauen wächst nur
langsam.
Und ein anderer Punkt fällt mir hier auf. Irgendwie scheint es als ob sich
hinter dem lockeren, gelassenen Umgang hier ein Denken in unglaublich
starren hierarchischen Mustern verbirgt. Für die Menschen scheint das
Gefühl
ungewohnt und fast unangenehm zu sein sich auf einer gleichwertigen Ebene
zu
unterhalten, ja zu diskutieren, zu streiten. Es wird vorgezogen, wenn in
der
Situation klar ist, wer die Autorität hat, wer sich unterzuordnen hat. Nur
das erklärt, dass diese gleichwertigen Situationen so selten zustande
kommen, nicht nur mir gegenüber auch untereinander. Entweder man wird
behandelt wie ein Gott, einem wird das Gepäck getragen, die Wäsche
gewaschen
und der Raum gefegt, oder man wird gönnerhaft behandelt wie ein Schüler.
Am
ausgeprägtesten ist diese Autorität in den kleinen Dörfern zu spüren.
Der
Chief ist trotz moderner staatlicher Repräsentanten weiterhin das
traditionelle Oberhaupt einer Gemeinschaft, die Autorität. Das
romantisierte
Bild eines weisen, erfahrenen, alten Mannes finde ich dabei allerdings
nicht
wieder. Eher sind es eigensinnige, um den Macherhalt kämpfende
Patriarchen,
oftmals zerstritten mit Nachbar Chiefs oder der District Verwaltung und
ihre
persönlichen Geschäfte mit den Minengesellschaften machend.
Ihre Autorität wird nur vorsichtig und hinter vorgehaltener Hand
kritisiert,
eine Autorität, die nicht unbedingt durch Geschick und Weisheit erworben
wurde, sondern durch Geburt in der richtigen Familie, Machtkalkül und
hohes
Alter. Ich habe beileibe nicht genug von diesem großen und facettenreichen
Land gesehen um mir wirklich eine Meinung bilden zu können, aber mehr als
je
zuvor halte ich das Festhalten an hierarchischen Strukturen und das
irgendwie damit in Verbindung stehende Fehlen von gesamtgesellschaftlichem,
gegenseitigen Vertrauen für das Haupthindernis bei allen Versuchen
politische oder wirtschaftliche Stabilität zu erreichen oder auszubauen.
Aber zurück zu den Mysterien der Mentalität. Ein weiterer Punkt, der mir
während meines gesamten Aufenthaltes hier immer wieder aufgefallen ist,
den
ich aber nie formulieren konnte, ist die unbegreifliche emotionale
Intensität der Menschen. Alles ist unglaublich intensiv - Freude, Ärger,
Glück, Erstaunen, Hass. Doch ist es keine positive Intensität, keine
Leidenschaft, keine Impulsivität. Vielmehr scheint allen diesen
Gefühlsregungen eine gewisse Aggressivität innezuwohnen. Ich war am
Sonntagmorgen beim örtlichen Fußballspiel, irgendeine halbwegs offizielle
Partie mit begeistertem Publikum. Das Spiel war bestes Beispiel ghanaischer
Lebensart. Unglaublich laut, schnell, dynamisch, faszinierend, für
deutsche
Augen total unstrukturiert aber herrlich anzuschauen. Ein Treffer führte
sofort zum Sturm auf das Spielfeld, zu lautem Schreien, heftigen Schlägen
auf die Rücken der erfolgreichen Spieler, Freudentaumel; bei den
Kontrahenten dagegen führte es zu wutentbrannten Diskussionen, Geschubse,
lautstarken Beschwerden, größter Enttäuschung. Alles in allem eine
Stimmung,
die für mich über leidenschaftliche Emotionalität hinausging – selbst
beim
Fußball. Und diese an Aggressivität grenzende Intensität erlebt man hier
oftmals, sei es dass Musik grundsätzlich so weit aufgerissen wird, dass es
wirklich schmerzt, dass im Autoverkehr trotz sehr freier und gelassener
Fahrweise sich einige wegen totaler Nichtigkeiten fast an die Gurgel gehen,
dass bei normalen Diskussionen auf der Strasse bereits unglaublich wild
geschrien und gestikuliert wird. Als ich vor Wochen im TroTro in Akosombo
saß, schlug eine am Straßenrand schlendernde Schülerin beim Vorbeifahren
mit
einem Zweig auf meinen aus dem Fenster hängenden Arm – ob aus Spaß oder
im
Ernst, ich habe keine Ahnung. Was mich aber mehr erschreckte als diese
kindliche Aktion, war die folgende Reaktion: Als der Mate, der zuständig
für
den Ticketverkauf, die Gepäckverladung und die sonstige Organisation der
Fahrt ist, seinem Fahrer davon erzählte, kehrte er sofort den Wagen, fuhr
zurück zu der Gruppe Schülerinnen, nahm der einen den Zweig ab und
verdrosch
sie damit derart, dass sie nur erschrocken schreien und ich nur regungslos
zusehen konnte. Eine total ruhige Situation war von einer Minute auf die
andere in größte Aggression umgeschlagen. Bei einem anderen ASA-Projekt,
einem Theaterworkshop, tickte einer der Schauspieler aus und trieb die
zuschauenden und immer dichter auf die Bühne drängenden Kinder brutal mit
einem Gürtel zurück. Danach ist dann alles wieder ruhig, nur einem selbst
stockt der Atem, wie plötzlich und unerwartet hier eine Situation
umschlagen
kann. Man sollte hier übrigens auch nicht in einen Unfall verwickelt
werden,
es kommt durchaus vor, daß der Fahrer des schuldigen Unglücksautos hier
gleich vor Ort gelyncht wird – wozu auch auf die Polizei warten…
Unwirklich, brutal und übertrieben klingen diese Horrorgeschichten, die
überhaupt nicht den ghanaischen Alltag widerspiegeln, der grundsätzlich
geprägt ist von Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gelassenheit. Doch
nach einigen Monaten hier werden auch die Risse sichtbar, die Momente, in
denen einem bewusst wird, dass man einige Aspekte der ghanaischen
Mentalität
wirklich nicht versteht - und nie verstehen wird. Bei aller Begeisterung
für
dieses wunderbare Land komme ich in Bezug auf Toleranz und interkulturelles
Verständnis damit oftmals hart an meine Grenzen.
Aber zurück nach Awaso, zurück in die Tiefe ländlicher Langeweile. Nicht
die
ghanaische Seele ist ja schließlich das Mysterium, das es mit teuren ASA
Geldern zu ergründen gilt, sondern das Geheimnis um ein unscheinbares,
rotes
Lateritgestein: Bauxit. Hier in Awaso steht nun also Ghanas einzige
Bauxitmine, der erste Schritt auf dem langen Weg zur Aluminiumproduktion.
Hatte ich erwähnt, dass die Aluminium-Produktionskette, dessen
Auswirkungen
ich hier untersuchen sollte, in Ghana gar nicht existiert? Daß das rote
Geröll nach Kanada verschifft wird, eine Raffinerie nie gebaut wurde, die
Aluschmelze seit 3 Jahren still steht und mein Projekt damit etwas, sagen
wir mal, unfokussiert, dasteht? Aber das nur am Rande.
In Awaso wollte ich mich also auf den ersten Schritt der (imaginären)
Produktionslinie konzentrieren. Dafür stand zuersteinmal ein Besuch der
Mine
an. Auf dem Gelände kann man noch die herrschaftliche Attitüde der
Ursprungsfirma, der British Aluminium Company, erahnen, die während des
Zweiten Weltkrieges aufgrund des besetzten Frankreichs ihren Bedarf an
Bauxit (übrigens von Les-Beaux-de-Provence, dem ersten Fundort in
Südfrankreich) zur Aluminiumherstellung für die Flugzeugindustrie in den
fernen Kolonien decken musste. Auf einem der Affoh Hills, unter denen der
Rohstoff schlummert, thronen der firmeneigene Golfplatz, ein Clubhaus, ein
Tennisplatz, ein Swimmingpool und die Wohnhäuser des Managements. Der
Glanz
ist allerdings verflogen, die Mine heute im Besitz von Alcan (Kanada),
einem
der weltgrößten Aluminiumkonzerne, und dem ghanaischen Staat. Aufgrund
eines
maroden Schienennetzes wird nur die Hälfte der potentiellen Fördermenge
tatsächlich abgebaut, seit drei Jahren schreibt die Ghana Bauxite Company
rote Zahlen. Trotzdem war es interessant alle Arbeitsprozesse
kennenzulernen
und Mitarbeiter zu interviewen. Mein Hauptanliegen war allerdings der
Besuch
der umliegenden Dörfer, die abgelegen von der Hauptstrasse am Fuße der
Affoh
Hills liegen und ohne eigenes Gefährt nur schwer zu erreichen sind. Nach
stundenlangen zähen Verhandlungen konnte ich dann aber doch einem der
Ältesten in Awaso seine schnittige Mofette abschnacken – gegen eine
saftige
Gebühr versteht sich. Und seit diesem Augenblick sind wir beide, meine
silbergraue Suzuka 125 GT und ich, unzertrennlich geworden. Sie hat mich
die
folgenden Tage über haarsträubende Schlaglochpisten zu den entlegendsten
Siedlungen geführt und mir so manches mal ein dickes Grinsen auf die
Visage
gezaubert. Ob jaulende Kinderhorden, steinalte Männer oder drahtige
Kakaobauern, sie alle haben nicht schlecht gestaunt, als der kalkweisse
Obroni auf der mickrigen Mofa über den holprigen Dorfplatz geknattert kam.
Normalerweise empfangen mich ja alle Kinder mit aufgeregten
„Obroni“-Rufen,
doch in diesem Fall klappte den frechen Lümmeln vor Erstaunen einfach nur
schweigend der Unterkiefer runter. Meist hatte ich Raymond, meinen
Übersetzer, im Gepäck, der vor jeder Steigung gezittert haben muss, so
haarsträubend wie wir mit unseren paar PS im ersten Gang auf maximaler
Drehzahl die roten Hügel erklommen haben. Hätte ich zu dem Zeitpunkt
gewusst, dass er schon über 60 ist hätte ich es vielleicht etwas
gemächlicher angegangen… Insgesamt habe ich neben Awaso 7 Dörfer
besucht und
die Bewohner befragt, meist den Chief oder den Ältestenrat. Alles klappte
besser als erwartet, obwohl die meisten misstrauisch sind, da man als
Weißer
automatisch den Bergbau- oder Holzfirmen zugeordnet wird, die als Ausbeuter
empfunden werden.
Auch wenn die Dörfer hier in keiner Weise von den Aktivitäten
profitieren,
sondern unter Landverlust und Umweltzerstörung leiden, ist im ganzen
betrachtet die Lage um die Bauxitmine lange nicht so angespannt wie in den
Goldgebieten. Die Mine ist verhältnismäßig klein, Bauxit für die lokale
Bevölkerung selbst uninteressant (im Gegensatz zu Gold), der Abbau
umwelttechnisch nicht ganz so problematisch wie Goldabbau (da keine
Chemikalien benötigt werden) und lokale Zusammenschlüsse von Minengegnern
sucht man vergeblich. Ich werde also noch ein paar Interviews führen, ein
wenig kartieren und dann zurück Richtung Accra aufbrechen und mich an
fließend Wasser, der frischen Seebrise, meinem Bett, den Kochkünste
meines
Mitbewohners, geistreicher Konversation und einem Internetanschluß
erfreuen.
Beste Grüße
Lars
Über eine Woche bin ich nun hier in Awaso, einem verlassenen Ort in der
Western Region. Eigentlich wollte ich mich am ersten Tag schon wieder aus
dem wortwörtlichen Staub machen, zu unfreundlich und düster wirkte das
Städtchen. Nach einigen Tagen begann ich mich aber schließlich an sie zu
gewöhnen, an die „Obroni“-Schreie, den Stromausfall, den abendlichen
Sturzregen, das Wäschewaschen mit Regenwasser, die Unmöglichkeit einer
normalen Konversation, die kaputte Klotür und den Yams mit scharfer
Pfeffersoße. Und es wurde mir wieder bewusst, wie europäisch Accra einem
erscheinen kann – gerade Accra, dieses laute, unübersichtliche,
stinkende
Chaos. Es wurde mir ebenfalls bewusst, wie fremd mir Ghana nach wie vor
bleibt, wie unüberbrückbar der Graben zwischen deutscher und ghanaischer
Mentalität manchmal erscheint.
Hier in Awaso bin ich ein Obroni, ein Weißer. Aber eigentlich ist das eher
gleichbedeutend mit Außerirdischer. Ich bin ein Fremdkörper in dieser
Gemeinschaft, jemand, der von Kindern wie Erwachsenen manchmal freundlich,
manchmal misstrauisch bestaunt wird. In jedem Fall macht es einen normalen
Umgang unmöglich. Wirkliche Gespräche entwickeln sich kaum und wenn, dann
bleibt trotzdem eine fühlbare Distanz bestehen, Vertrauen wächst nur
langsam.
Und ein anderer Punkt fällt mir hier auf. Irgendwie scheint es als ob sich
hinter dem lockeren, gelassenen Umgang hier ein Denken in unglaublich
starren hierarchischen Mustern verbirgt. Für die Menschen scheint das
Gefühl
ungewohnt und fast unangenehm zu sein sich auf einer gleichwertigen Ebene
zu
unterhalten, ja zu diskutieren, zu streiten. Es wird vorgezogen, wenn in
der
Situation klar ist, wer die Autorität hat, wer sich unterzuordnen hat. Nur
das erklärt, dass diese gleichwertigen Situationen so selten zustande
kommen, nicht nur mir gegenüber auch untereinander. Entweder man wird
behandelt wie ein Gott, einem wird das Gepäck getragen, die Wäsche
gewaschen
und der Raum gefegt, oder man wird gönnerhaft behandelt wie ein Schüler.
Am
ausgeprägtesten ist diese Autorität in den kleinen Dörfern zu spüren.
Der
Chief ist trotz moderner staatlicher Repräsentanten weiterhin das
traditionelle Oberhaupt einer Gemeinschaft, die Autorität. Das
romantisierte
Bild eines weisen, erfahrenen, alten Mannes finde ich dabei allerdings
nicht
wieder. Eher sind es eigensinnige, um den Macherhalt kämpfende
Patriarchen,
oftmals zerstritten mit Nachbar Chiefs oder der District Verwaltung und
ihre
persönlichen Geschäfte mit den Minengesellschaften machend.
Ihre Autorität wird nur vorsichtig und hinter vorgehaltener Hand
kritisiert,
eine Autorität, die nicht unbedingt durch Geschick und Weisheit erworben
wurde, sondern durch Geburt in der richtigen Familie, Machtkalkül und
hohes
Alter. Ich habe beileibe nicht genug von diesem großen und facettenreichen
Land gesehen um mir wirklich eine Meinung bilden zu können, aber mehr als
je
zuvor halte ich das Festhalten an hierarchischen Strukturen und das
irgendwie damit in Verbindung stehende Fehlen von gesamtgesellschaftlichem,
gegenseitigen Vertrauen für das Haupthindernis bei allen Versuchen
politische oder wirtschaftliche Stabilität zu erreichen oder auszubauen.
Aber zurück zu den Mysterien der Mentalität. Ein weiterer Punkt, der mir
während meines gesamten Aufenthaltes hier immer wieder aufgefallen ist,
den
ich aber nie formulieren konnte, ist die unbegreifliche emotionale
Intensität der Menschen. Alles ist unglaublich intensiv - Freude, Ärger,
Glück, Erstaunen, Hass. Doch ist es keine positive Intensität, keine
Leidenschaft, keine Impulsivität. Vielmehr scheint allen diesen
Gefühlsregungen eine gewisse Aggressivität innezuwohnen. Ich war am
Sonntagmorgen beim örtlichen Fußballspiel, irgendeine halbwegs offizielle
Partie mit begeistertem Publikum. Das Spiel war bestes Beispiel ghanaischer
Lebensart. Unglaublich laut, schnell, dynamisch, faszinierend, für
deutsche
Augen total unstrukturiert aber herrlich anzuschauen. Ein Treffer führte
sofort zum Sturm auf das Spielfeld, zu lautem Schreien, heftigen Schlägen
auf die Rücken der erfolgreichen Spieler, Freudentaumel; bei den
Kontrahenten dagegen führte es zu wutentbrannten Diskussionen, Geschubse,
lautstarken Beschwerden, größter Enttäuschung. Alles in allem eine
Stimmung,
die für mich über leidenschaftliche Emotionalität hinausging – selbst
beim
Fußball. Und diese an Aggressivität grenzende Intensität erlebt man hier
oftmals, sei es dass Musik grundsätzlich so weit aufgerissen wird, dass es
wirklich schmerzt, dass im Autoverkehr trotz sehr freier und gelassener
Fahrweise sich einige wegen totaler Nichtigkeiten fast an die Gurgel gehen,
dass bei normalen Diskussionen auf der Strasse bereits unglaublich wild
geschrien und gestikuliert wird. Als ich vor Wochen im TroTro in Akosombo
saß, schlug eine am Straßenrand schlendernde Schülerin beim Vorbeifahren
mit
einem Zweig auf meinen aus dem Fenster hängenden Arm – ob aus Spaß oder
im
Ernst, ich habe keine Ahnung. Was mich aber mehr erschreckte als diese
kindliche Aktion, war die folgende Reaktion: Als der Mate, der zuständig
für
den Ticketverkauf, die Gepäckverladung und die sonstige Organisation der
Fahrt ist, seinem Fahrer davon erzählte, kehrte er sofort den Wagen, fuhr
zurück zu der Gruppe Schülerinnen, nahm der einen den Zweig ab und
verdrosch
sie damit derart, dass sie nur erschrocken schreien und ich nur regungslos
zusehen konnte. Eine total ruhige Situation war von einer Minute auf die
andere in größte Aggression umgeschlagen. Bei einem anderen ASA-Projekt,
einem Theaterworkshop, tickte einer der Schauspieler aus und trieb die
zuschauenden und immer dichter auf die Bühne drängenden Kinder brutal mit
einem Gürtel zurück. Danach ist dann alles wieder ruhig, nur einem selbst
stockt der Atem, wie plötzlich und unerwartet hier eine Situation
umschlagen
kann. Man sollte hier übrigens auch nicht in einen Unfall verwickelt
werden,
es kommt durchaus vor, daß der Fahrer des schuldigen Unglücksautos hier
gleich vor Ort gelyncht wird – wozu auch auf die Polizei warten…
Unwirklich, brutal und übertrieben klingen diese Horrorgeschichten, die
überhaupt nicht den ghanaischen Alltag widerspiegeln, der grundsätzlich
geprägt ist von Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gelassenheit. Doch
nach einigen Monaten hier werden auch die Risse sichtbar, die Momente, in
denen einem bewusst wird, dass man einige Aspekte der ghanaischen
Mentalität
wirklich nicht versteht - und nie verstehen wird. Bei aller Begeisterung
für
dieses wunderbare Land komme ich in Bezug auf Toleranz und interkulturelles
Verständnis damit oftmals hart an meine Grenzen.
Aber zurück nach Awaso, zurück in die Tiefe ländlicher Langeweile. Nicht
die
ghanaische Seele ist ja schließlich das Mysterium, das es mit teuren ASA
Geldern zu ergründen gilt, sondern das Geheimnis um ein unscheinbares,
rotes
Lateritgestein: Bauxit. Hier in Awaso steht nun also Ghanas einzige
Bauxitmine, der erste Schritt auf dem langen Weg zur Aluminiumproduktion.
Hatte ich erwähnt, dass die Aluminium-Produktionskette, dessen
Auswirkungen
ich hier untersuchen sollte, in Ghana gar nicht existiert? Daß das rote
Geröll nach Kanada verschifft wird, eine Raffinerie nie gebaut wurde, die
Aluschmelze seit 3 Jahren still steht und mein Projekt damit etwas, sagen
wir mal, unfokussiert, dasteht? Aber das nur am Rande.
In Awaso wollte ich mich also auf den ersten Schritt der (imaginären)
Produktionslinie konzentrieren. Dafür stand zuersteinmal ein Besuch der
Mine
an. Auf dem Gelände kann man noch die herrschaftliche Attitüde der
Ursprungsfirma, der British Aluminium Company, erahnen, die während des
Zweiten Weltkrieges aufgrund des besetzten Frankreichs ihren Bedarf an
Bauxit (übrigens von Les-Beaux-de-Provence, dem ersten Fundort in
Südfrankreich) zur Aluminiumherstellung für die Flugzeugindustrie in den
fernen Kolonien decken musste. Auf einem der Affoh Hills, unter denen der
Rohstoff schlummert, thronen der firmeneigene Golfplatz, ein Clubhaus, ein
Tennisplatz, ein Swimmingpool und die Wohnhäuser des Managements. Der
Glanz
ist allerdings verflogen, die Mine heute im Besitz von Alcan (Kanada),
einem
der weltgrößten Aluminiumkonzerne, und dem ghanaischen Staat. Aufgrund
eines
maroden Schienennetzes wird nur die Hälfte der potentiellen Fördermenge
tatsächlich abgebaut, seit drei Jahren schreibt die Ghana Bauxite Company
rote Zahlen. Trotzdem war es interessant alle Arbeitsprozesse
kennenzulernen
und Mitarbeiter zu interviewen. Mein Hauptanliegen war allerdings der
Besuch
der umliegenden Dörfer, die abgelegen von der Hauptstrasse am Fuße der
Affoh
Hills liegen und ohne eigenes Gefährt nur schwer zu erreichen sind. Nach
stundenlangen zähen Verhandlungen konnte ich dann aber doch einem der
Ältesten in Awaso seine schnittige Mofette abschnacken – gegen eine
saftige
Gebühr versteht sich. Und seit diesem Augenblick sind wir beide, meine
silbergraue Suzuka 125 GT und ich, unzertrennlich geworden. Sie hat mich
die
folgenden Tage über haarsträubende Schlaglochpisten zu den entlegendsten
Siedlungen geführt und mir so manches mal ein dickes Grinsen auf die
Visage
gezaubert. Ob jaulende Kinderhorden, steinalte Männer oder drahtige
Kakaobauern, sie alle haben nicht schlecht gestaunt, als der kalkweisse
Obroni auf der mickrigen Mofa über den holprigen Dorfplatz geknattert kam.
Normalerweise empfangen mich ja alle Kinder mit aufgeregten
„Obroni“-Rufen,
doch in diesem Fall klappte den frechen Lümmeln vor Erstaunen einfach nur
schweigend der Unterkiefer runter. Meist hatte ich Raymond, meinen
Übersetzer, im Gepäck, der vor jeder Steigung gezittert haben muss, so
haarsträubend wie wir mit unseren paar PS im ersten Gang auf maximaler
Drehzahl die roten Hügel erklommen haben. Hätte ich zu dem Zeitpunkt
gewusst, dass er schon über 60 ist hätte ich es vielleicht etwas
gemächlicher angegangen… Insgesamt habe ich neben Awaso 7 Dörfer
besucht und
die Bewohner befragt, meist den Chief oder den Ältestenrat. Alles klappte
besser als erwartet, obwohl die meisten misstrauisch sind, da man als
Weißer
automatisch den Bergbau- oder Holzfirmen zugeordnet wird, die als Ausbeuter
empfunden werden.
Auch wenn die Dörfer hier in keiner Weise von den Aktivitäten
profitieren,
sondern unter Landverlust und Umweltzerstörung leiden, ist im ganzen
betrachtet die Lage um die Bauxitmine lange nicht so angespannt wie in den
Goldgebieten. Die Mine ist verhältnismäßig klein, Bauxit für die lokale
Bevölkerung selbst uninteressant (im Gegensatz zu Gold), der Abbau
umwelttechnisch nicht ganz so problematisch wie Goldabbau (da keine
Chemikalien benötigt werden) und lokale Zusammenschlüsse von Minengegnern
sucht man vergeblich. Ich werde also noch ein paar Interviews führen, ein
wenig kartieren und dann zurück Richtung Accra aufbrechen und mich an
fließend Wasser, der frischen Seebrise, meinem Bett, den Kochkünste
meines
Mitbewohners, geistreicher Konversation und einem Internetanschluß
erfreuen.
Beste Grüße
Lars
feuerwehrtrompeter - 14. Nov, 15:23